Der Bericht in der «New York Times» vom 15. Februar 1946 klang nach einer Sensation: Ein «Top-Geheimnis des Zweiten Weltkriegs» wurde enthüllt, «eine erstaunliche Maschine, die zum ersten Mal elektronische Geschwindigkeiten auf mathematische Aufgaben anwendet, die bisher zu schwierig und zu umständlich zu lösen waren». 24 Wochen nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht wurde mit dem Artikel die Existenz des ersten frei programmierbaren Elektronenrechners der Welt bekannt.
T.R. Kennedy jr., der Technikreporter der Zeitung, hatte von den beiden Wissenschaftlern John von Neumann und Vladimir Zworykin von den schier unbegrenzten Möglichkeiten des bis dahin streng geheim gehaltenen «Electrical Numerical Integrator And Calculator» (ENIAC) erfahren. Die geistige Vaterschaft für den ENIAC können aber zwei andere US-Wissenschaftler für sich beanspruchen: der Physiker John William Mauchly und der Ingenieur John Presper Eckert.
Sie wollten mit dem Rechner – wie der Name «Numerical Integrator» bereits nahelegt – die «numerische Integration» beschleunigen, also die Berechnung einer Fläche unter einer Kurve im Koordinatensystem. Dabei ging es nicht um eine abstrakte mathematische Fingerübung. Vielmehr sollte den Soldaten der US-Army im Zweiten Weltkrieg ganz konkret dabei geholfen werden, schnell die Flugbahnen der Artilleriegeschosse zu berechnen.
Vor der Erfindung des ENIAC wurden diese sogenannten Schusstafeln mühsam mit Tischrechenmaschinen oder etwas schneller mit Analogrechnern ermittelt. Mauchly schlug 1942 der Armee ein für diese Aufgabe brauchbares digitales elektronisches Instrument vor, ein Jahr später wurde an der Universität von Pennsylvania mit dem Bau begonnen. Das Projekt war streng geheim und kostete 487.000 Dollar.
Die US-Army konnte im Zweiten Weltkrieg allerdings nicht mehr von dem ENIAC profitieren, denn die Maschine wurde erst nach Kriegsende fertiggestellt. Mit dem aufziehenden Kalten Krieg änderte sich dann der Verwendungszweck des Rechenmonstrums: Der ENIAC wurde von US-Wissenschaftlern in Los Alamos verwendet, um die Zerstörungskraft der ersten Wasserstoffbombe zu berechnen.
Die erste Version, der ENIAC I, bestand aus 40 verkabelten Elektronik-Gestellen, drei Rollschränken mit Drehschaltern sowie Apparaten zum Einlesen und Ausgeben von IBM-Lochkarten. In dem Rechenriesen steckten rund 17 500 Röhren, 7200 Dioden und 1500 Relais. Zusammen kamen 27 Tonnen auf die Waage.
Im Vergleich zu seinen mechanischen Vorgängern arbeitete ENIAC seine Rechenschritte deutlich schneller ab. So konnte die Riesenmaschine rund 5000 Rechenoperationen pro Sekunde bewältigen, etwa 1000 Mal schneller als mechanische Rechner.
Die Geschichte des ENIAC I ist auch ein Beispiel dafür, welche tragende Rolle Frauen in den Anfangszeiten der Informatik gespielt haben. Bereits vor dem Einsatz von Großcomputern waren es oft Mathematikerinnen, die beim Militär mit Stift und Papier die Rechenarbeiten erledigten. Beim ENIAC I wurden die komplizierten Programmänderungen von sechs Wissenschaftlerinnen erledigt. Sie mussten sich lange Zeit gegen das Klischee von «Refrigerator Ladies» wehren. So wurden die jungen Frauen auf Werbefotos bezeichnet, die vor Kühlschränken posierten, um die Maschine gut aussehen zu lassen. Inzwischen stellt niemand mehr die historische Leistung der ENIAC-Frauen infrage.
Technik-Historiker diskutieren bis heute, ob der ENIAC I wirklich der «erste Computer» war. In Deutschland wird dieser Titel immer wieder gerne der Z3 von Konrad Zuse (1941) zugesprochen, dem ersten funktionsfähigen Digitalrechner weltweit. Die Z3 arbeitete allerdings mit elektromagnetischer Relaistechnik, nicht mit Röhren. Andere Experten sehen den Atanasoff-Berry-Computer (1937-1941) im historischen Rennen vorne. Ein Computer im modernen Sinne war der «ABC» allerdings nicht, da er nicht frei programmierbar war.
«Wer hat’s erfunden? Die Frage ist im Falle des Computers nicht ganz einfach zu beantworten», sagt der Geschäftsführer des Heinz Nixdorf Museums-Forums (HNF) in Paderborn, Jochen Viehoff. Fest stehe aber, dass 1946 mit dem ENIAC der erste programmierbarer Großrechner weltweit vorgestellt wurde, der ausschließlich mit den schnellen Elektronenröhren funktionierte.
Der ENIAC I habe auch für wichtige wissenschaftliche und militärische Rechenaufgaben im harten Dauereinsatz ziemlich zuverlässig funktioniert, sagt Viehoff. «Nicht selten rechnete ENIAC an einem Problem über Stunden oder Tage.» Einen Programmspeicher, wie wir ihn von heutigen Computern kennen, habe es aber nicht gegeben.
Der ENIAC I war noch bis 1955 in Betrieb. Danach wurde er auseinandergenommen und die Einzelteile («Racks») auf verschiedene Institutionen verteilt. Etliche ENIAC-Racks sind in Washington im American History Museum des Smithsonian Institute zu finden. Man muss aber nicht in die USA fliegen, um Teile des ENIAC I zu bewundern. «Wir sind sehr froh, von diesem wichtigen Meilenstein der Computergeschichte insgesamt drei Original-Panels als Leihgabe aus den USA in der Dauerausstellung des Heinz Nixdorf Museums-Forums zeigen zu können», sagt Geschäftsführer Viehoff. Mit einem interaktiven ENIAC-Akkumulator können die Besucher selbst einfache mathematische Berechnungen vornehmen – fast wie im Jahr 1946.
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