Keine Pfarrerin, kein Pfarrer. Und trotzdem theologische Gedanken, eine Predigt, Gebete. Der 39. Deutsche Evangelische Kirchentag will’s wissen: Kann Künstliche Intelligenz (KI) auch Gottesdienste halten? Der Theologe Jonas Simmerlein hat diesen besonderen Gottesdienst vorbereitet. Aber nicht er wird am Freitag die Predigt in der Fürther Kirche St. Paul halten – stattdessen soll ein Avatar auf einer Leinwand antreten.
Der Text kommt von einer KI. Schon in Wien, seinem derzeitigen Arbeitsort, hat Simmerland einen Testlauf absolviert, er betritt also nicht komplettes Neuland. «Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Man kann den Rahmen vorgeben, im Fall des Kirchentags: Es ist Evangelischer Kirchentag 2023 in Nürnberg und Fürth. Und sie soll als KI eine Predigt halten», sagt Simmerlein. «Wenn man diese Rahmenbedingungen nennt, schreibt sie etwas Entsprechendes und „merkt“ sich, was sie schon zuvor gesagt hat. KI ist nicht allwissend, man muss ihr Stützräder geben.»
Ihn interessieren vor allem die Reaktionen der Gottesdienstbesucherinnen und -besucher. Deshalb soll es nach dem KI-Gottesdienst auch eine Gesprächsrunde geben.
Predigt per Voice-Assistant
Bei seinem Wiener Projekt si es so gewesen, dass die Menschen zum Nachdenken angeregt worden seien: «Es war sehr provozierend, klassische Themen, die man normalerweise aus dem Mund einer Pfarrerin oder eines Pfarrers hört, nochmal in einer ganz anderen Weise von einem Voice-Assistant zu hören. Es ist ja so, dass eine der menschlichen Stimme ähnliche Stimme spricht.» Mit Avataren soll das Ganze visualisiert werden. «Und wenn man sich das eine Weile anschaut, vergisst man gerne auch einmal, dass da auf der Leinwand kein „echter Mensch“ gerade spricht, sondern dass das Programme sind, die das simulieren.»
Wo also geht die Reise hin mit KI im Gottesdienst? Werden bald ein Screen und ein Tablet reichen, braucht man kein theologisches Personal mehr, das ja sowieso rar geworden ist, sowohl in katholischer als auch evangelischer Kirche?
Suche nach dem Mittelweg
Simmerlein sagt: «Ich würde es sehr entspannt sehen, niemand will Kirchen und Pfarrer und Pfarrerinnen durch KI ersetzen. Kirchen gibt es, weil Menschen dort hingehen und sagen: Da finde ich Halt und Trost. Wenn jetzt Künstliche Intelligenzen es schaffen würden, dass Menschen sich jeden Sonntag etwas von einer KI erzählen lassen – dann ist es so.» Das werde aber vermutlich nicht so sein. «Die allermeisten Menschen werden sagen: Ich möchte da vorne einen Menschen haben, der sterblich ist, der auch schon Trauer et cetera erlebt hat. Deshalb wird es für viele Menschen nicht so interessant sein. Aber das heißt nicht, dass sich Sachen nicht auch verändern können.»
Für einen Mittelweg in Sachen KI im Kontext Kirche und Theologie spricht sich der Erlanger Theologie-Professor und frühere Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, aus: «Bei KI würde ich zum gegenwärtigen Stand sagen: Ich habe größte Probleme, wenn im Internet Chatbots eingesetzt würden für Psychotherapie oder Seelsorge. Nach dem AI-Act, den die EU jetzt plant, ist deshalb zu Recht vorgesehen, dass bekannt gegeben werden muss, ob man mit einem Bot kommuniziert oder mit einem menschlichen Gegenüber.»
Technologie nicht verteufeln
In anderen Bereichen sei es entspannter. «Wenn man beispielsweise in der Predigtvorbereitung mit ChatGPT ein Gespräch führt, ist das eine denkbare Möglichkeit – neben der Lektüre oder einem Gespräch in der Gemeindegruppe. Ob das genauso gut ist, sei dahingestellt. Man sollte die Technologie jedenfalls im religiösen Kontext nicht verteufeln, aber auch nicht in den Himmel loben.»
Auch die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, hatte sich bereits Ostern zum Thema KI geäußert: «Künstliche Intelligenz kann nicht lieben; sie kann sich nicht einfühlen, kann kein Verständnis zeigen.» Diese sogenannten weichen Faktoren seien aber für das menschliche Leben entscheidend, sagte sie in einem Interview der Funke-Mediengruppe.
Weitere Nachrichten
Cyberangriff auf Fernwartungssoftware-Anbieter Teamviewer
Verbraucher auf dem Land können auf besseres Internet hoffen
Verbraucher auf dem Land können auf besseres Internet hoffen