Weiße Lettern auf orangefarbenem Grund, ein professionelles Foto und der übliche Textaufbau lassen im ersten Moment wenig Zweifel zu: Das ist ein Online-Artikel des «Spiegel» – oder? Bei näherer Prüfung wird klar: Die Seite und der Artikel sind nicht echt. Statt der originalen Inhalte verbreiten sie pro-russische Fake-News. Im Netz kursieren solche Doppelgänger von Nachrichtenportalen wie «Spiegel» oder «Welt».
Bereits im Sommer 2022 enttarnten Recherchen von «t-online» und dem ZDF mehr als 30 gefälschte Webseiten, die gezielt Desinformation in sozialen Netzwerken, aber vor allem auf Facebook verbreiten. «Es ist eine langfristig angelegte, hartnäckige Kampagne», sagt Julia Smirnova, Analytikerin beim Institute for Strategic Dialogue (ISD), das zu Desinformation forscht.
Die gefälschten Seiten, auch bekannt unter dem Namen Doppelgänger-Kampagne, tauchen nach wie vor auf. «Das Ziel ist: Desinformation im großen Stil», sagt Smirnova. Es sei bis jetzt die größte verdeckte pro-russische Kampagne dieser Art. Die Strategie sei vergleichbar mit der von Spam-Nachrichten. Sie seien keine perfekten Fälschungen, aber sollten so viele Menschen wie möglich erreichen.
Ziel: Zweifel säen
Der Analytikerin zufolge haben die Fake-Medienwebseiten immer wieder die gleichen Botschaften: Anti-USA-Narrative, Kritik an den Grünen oder Diskreditierung der Ukraine. «Mit US-feindlichen Behauptungen versucht die russische Propaganda in Deutschland, Zweifel an transatlantischen Beziehungen zu säen», führt die Expertin aus. Den USA werde auch die Schuld für den Krieg an der Ukraine gegeben. Die Propaganda nehme die Grünen ins Visier, weil die Partei den russischen Angriffskrieg deutlich verurteile.
Weil der Krieg gegen die Ukraine weitergehe, bestünden Russlands Propagandabedürfnisse weiter, erklärt Lea Frühwirth vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS). Das Institut untersucht Radikalisierungstendenzen und Verschwörungserzählungen im Netz.
Die Doppelgänger-Kampagne beschränke sich nicht nur auf den deutschsprachigen Raum, sagt Frühwirth. Auch ein Bericht des französischen Generalsekretariats für Verteidigung und Sicherheit aus dem Juni 2023 listet als betroffene Länder unter anderem Frankreich, Litauen, Lettland, Großbritannien, die Ukraine, die USA, Israel und die Vereinigten Arabischen Emirate auf.
Die EU identifizierte russische Akteure als Verantwortliche für die digitale Informationsmanipulation. Ende Juli 2023 setzte sie fünf mit dem russischen Staat verbundene Organisationen und sieben Menschen auf die Sanktionsliste.
Wie lässt sich die Verbreitung erschweren?
«Ideal wäre es natürlich, die Webseiten entfernen zu lassen oder unzugänglich zu machen», so Frühwirth. Wichtig sei es zu verhindern, dass Menschen von der Kampagne erreicht und beeinflusst werden. Smirnova vom ISD plädiert dafür, die Registrierung von Domains zu erschweren.
Außerdem sagen beide Forscherinnen, dass es wichtig sei, Leserinnen und Leser zu sensibilisieren und ihre Medienkompetenz zu stärken. Über die laufende Doppelgänger-Kampagne sollte aufgeklärt werden. In Frankreich habe etwa das Außenministerium die gesamte Öffentlichkeit darüber informiert, berichtete Frühwirth.
Das Bundesinnenministerium teilte mit, dass kein Rückgang russischer Desinformation zu verzeichnen sei und es die Bedrohung durch ausländische Einflussnahme und Manipulation sehr ernst nehme. «Dabei stützt sich Russland weiterhin auf ein komplexes Netzwerk von staatlichen oder staatlich gesteuerten Akteuren», teilte ein Sprecher mit.
Die Behörde zeigte sich seit der Aufdeckung der Kampagne beunruhigt über die Fälschungen und teilte der dpa vor einem Jahr, Ende August 2022, mit, die Berichte zeigten exemplarisch «das Ausmaß pro-russischer Propaganda und Desinformation in Deutschland». Diese verfolgten das Ziel, Vertrauen in Politik, Gesellschaft und staatliche Institutionen zu untergraben, sagte ein Sprecher damals.
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