Früher mussten sich Lehrerinnen und Lehrer vor allem mit Spickzetteln, Briefchen, die im Unterricht von Bankreihe zu Bankreihe wanderten, oder heimlichen Rauchern hinter der Turnhalle herumschlagen. Das kam zwar regelmäßig vor, betraf aber nur einzelne Schülerinnen und Schüler. Heute müssen die Augen der Lehrkräfte zeitgleich fast überall sein. Denn ein Großteil ihrer Zöglinge besitzt ein Smartphone. Was diese damit anstellen, ist schwer zu kontrollieren.
Italien hat auf dieses Problem jüngst reagiert und angekündigt, Smartphones und Tablets an Grund- und Mittelschulen grundsätzlich verbieten zu wollen. Auch die britische Regierung veröffentlichte kürzlich einen Leitfaden, wie Schulen die Smartphone-Nutzung unterbinden oder einschränken können. Eine ähnliche Richtlinie gilt seit Anfang des Jahres in den Niederlanden. Danach können die Schulen selbst entscheiden, wie sie diese umsetzen. Und in Deutschland?
Mehrheit für Handyverbot an Schulen
Nach einer aktuellen Befragung des Meinungsforschungsinstituts YouGov sprechen sich 66 Prozent der Menschen in Deutschland dafür aus, dass Handys an Schulen definitiv oder eher verboten werden sollten. Allerdings ist das Thema – wenig überraschend – auch eine Generationenfrage, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa im Auftrag der «Bild»-Zeitung zeigt. Darin befürworten 60 Prozent der Befragten ein Handy-Verbot an Schulen. Mit 75 Prozent liegt die Zustimmung unter den 60- bis 69-Jährigen dabei am höchsten, während unter den 18- bis 29-Jährigen nur 40 Prozent dafür sind.
Schulen sind in Deutschland Ländersache. Ein allgemeines Verbot von privaten Smartphones in Schulen existiert nach Angaben der Kultusministerkonferenz nicht – und eine entsprechende Empfehlung dazu sei nicht geplant, teilt ein Sprecher mit. Schulen könnten deren Nutzung im Schulalltag aber beschränken. Doch ob und wie, das sieht an jeder Schule anders aus.
Eine Heterogenität, die zum Beispiel in Bayern ausdrücklich gewollt ist. «Das Handy ist ein täglicher und selbstverständlicher Begleiter der Schülerinnen und Schüler.» Ein generelles Verbot über alle Schularten sei daher nicht zeitgemäß, begründet eine Sprecherin des Kultusministeriums.
Kinderärzte sehen negative Folgen in der Praxis
71 Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen 6 und 18 Jahren besitzen in Deutschland nach Angaben des Digitalverbands Bitkom ein Smartphone. Durchschnittlich 111 Minuten, also fast zwei Stunden, verbringen diese damit täglich.
Die Folgen bekommen Kinder- und Jugendmediziner täglich bei ihrer Arbeit zu sehen: Haltungsprobleme, Übergewicht, Typ 2-Diabetes, ein erhöhtes Maß von ADHS und Aggressivität, reduzierte Lern-, Konzentrations- und Schreibfähigkeiten, zählt David Martin von der Universität Witten/Herdecke diese auf. «Ein Großteil der Kinder und Jugendlichen und deren Eltern können die Bildschirmzeiten nicht regulieren.»
Deshalb ist der Experte für Bildschirmmedien bei der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin der Meinung: «Es wäre eindeutig besser für die Gesundheit, die Konzentrations- und Lernfähigkeit der Kinder und vor allem für deren Sozialisation, wenn Schulen Handyverbote aussprechen.» Ganz besonders in den Pausen sollten diese nicht genutzt werden dürfen.
Florian Fabricius von der Bundesschülerkonferenz ist da ganz anderer Meinung: «Handyverbote führen lediglich dazu, dass unsere Schulen noch rückwärtsgewandter und realitätsferner werden», sagt er. Verbote lehnt die Bundesschülerkonferenz, die nach eigenen Angaben acht Millionen Schülerinnen und Schüler vertritt, deshalb ab.
Medienbildung statt Verbote
Der Jugendschutz-Experte Benjamin Thull von der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg hält Verbote sogar für kontraproduktiv. «Das Smartphone ist das Medium, über das sich alles abspielt. Es aus der Schule zu verbannen, halte ich für einen Fehler.» Es gebe Kinder und Jugendliche, die zu Hause keine Medienkompetenzen lernten. Deshalb sollte das Thema eine wichtige Rolle in den Schulen spielen. Voraussetzung sei: «Die Handys dürfen nicht den Unterricht stören, und es darf nicht privat gedaddelt und geschrieben werden.»
Das Deutsche Kinderhilfswerk sieht das ähnlich: «Kinder sollten frühzeitig die Möglichkeit haben, sich in einem unterstützten Rahmen, wie ihn Schule bieten sollte, mit den Nutzungsmöglichkeiten des Handys auseinanderzusetzen», findet Präsident Thomas Krüger. Die Regeln sollten im besten Fall mit den Schülerinnen und Schülern ausgehandelt werden – und bei Verstößen könnte die Wegnahme des Smartphones durchaus legitim sein, wenn alle pädagogischen Mittel ausgeschöpft seien. «Hier zeigt sich aber vielerorts, dass es an zeitlichen und personellen, teilweise auch an qualifikatorischen Ressourcen der Lehrkräfte mangelt, um mit den Herausforderungen der Mediennutzung durch die Schülerinnen und Schüler anders umzugehen als mit Verboten.»
«Schadet Schüler-Lehrer-Beziehung enorm»
Verbote, weil es praktikabel ist? Handy-freie Zeiten im Schulalltag umzusetzen, kann mühsam sein. Schülerinnen und Schüler haben zwar schon immer Wege gefunden, die Schulregeln zu umgehen. Heute gleiche das Ganze aber einem Kampf gegen Windmühlen, hört man, wenn man Lehrerinnen und Lehrern befragt. Und nicht alle Kolleginnen und Kollegen schauten genau hin – auch weil Konflikte vorprogrammiert seien. «Wenn Lehrkräfte plötzlich zu Polizisten werden und anfangen, Schüler nach Handys abzusuchen, schadet das der Schüler-Lehrer-Beziehung enorm», findet Fabricius. «Für gutes Lernen ist es jedoch unabdingbar, dass Lehrkräfte und Schüler kooperieren, miteinander und nicht gegeneinander arbeiten.»
Unkontrolliert können die Schulen die Smartphones und ihre Folgen aus Sicht von Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, jedoch nicht laufen lassen. «Smartphones haben ein hohes Ablenkungspotenzial. Da muss Schule drauf eingehen.» Deutschland sei bei der Digitalisierung der Schulen nicht so weit wie Dänemark und andere Länder, habe dadurch aber auch die Chance, aus deren Fehlern zu lernen, meint er.
Handys bleiben in der Marieskolen aus
In Dänemark ist die private Marieskolen in Tønder zum Beispiel wieder zurückgerudert: Die Kinder und Jugendlichen müssen dort nun morgens ihre Smartphones und Laptops abgeben, wie mehrere Medien berichteten. Seitdem bemerke man einen deutlichen Unterschied bei den Schülerinnen und Schülern, berichtet Schulleiterin Sarah Røll auf Anfrage. Diese spielten wieder gemeinsam und liefen nicht nur mit den Handys in der Hand plus Kopfhörern in den Ohren herum.
Auch die Schule von Stefan Düll, das Justus-von-Liebig-Gymnasium in Neusäß bei Augsburg, wagt einen neuen Anlauf beim Handyverbot. Dieses sei unter anderem mit den Klassensprechern abgestimmt, sagt der Schulleiter. Seit Beginn des zweiten Halbjahrs müssen Smartphones demzufolge bis auf wenige Ausnahmen bis 13 Uhr ausgeschaltet bleiben. «Das müssen wir jetzt in die Praxis umsetzen», sagt Düll. Handyregeln habe es an der Schule zwar schon vorher gegeben – an diese habe man sich aber nicht mehr so richtig gehalten.
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