Nach dem Spaß kam die Ernüchterung. In der «Jerusalema-Challenge» hatten die Belegschaften von Verkehrsbetrieben, Krankenhäusern, Polizei- und Feuerwachen sowie unzähligen Vereinen und Organisationen noch ausgelassen zu dem gleichnamigen Song aus Südafrika getanzt.
Und ihre Musikvideos auf Youtube, Instagram und TikTok geteilt – doch dann flatterten in vielen Fällen Rechnungen ins Haus. Der Konzern Warner Music verlangte nachträglich Lizenzgebühren.
Die Forderungen haben nicht nur den Teilnehmern des Tanz-Wettbewerbs die Stimmung verdorben. Sie werfen auch ganz grundsätzlich die Frage auf, ob tatsächlich gesonderte Lizenzgebühren fälligwerden, wenn man ein Tanzvideo veröffentlicht, in dem urheberrechtlich geschützte Musik zu hören ist.
Rechteinhaber Warner Music verwies nach einem Aufschrei der Entrüstung der Betroffenen darauf, es sei in diesen «schwierigen Zeiten wichtiger denn je, dass Künstler und Künstlerinnen für ihre Musik bezahlt werden, wenn sie von Dritten genutzt wird, um ihre Reputation zu steigern.» Aber bekommt das Musiklabel nicht ohnehin Geld von Youtube, Facebook & Co.? Wie wird diese Extra-Forderung gerechtfertigt?
Der Song aus der «Jerusalema-Challenge» stammt von dem südafrikanischen Sänger Kgaogelo Maogi, der unter dem Künstlernamen Master KG auftritt. Maogi ist Mitglied der südafrikanischen Verwertungsgesellschaft der SAMRO, die mit der Gema in Deutschland vergleichbar ist. Und über Verträge, die Verwertungsgesellschaften weltweit untereinander abgeschlossen haben, fließt auch ohne die Lizenzrechnungen von Warner Geld aus Deutschland nach Südafrika. Die deutsche Gema ist nämlich in der Lage, Werke von Künstlern der SAMRO auch in Deutschland zu lizenzieren, darunter auch den Song «Jerusalema» von Kgaogelo Maogi.
Die Nutzer von Youtube, Facebook, Instagram, TikTok und Co. bekommen von diesem Deal nicht viel mit, denn die Gema hat mit den Plattformen pauschalisierte Lizenzvereinbarungen geschlossen, ähnlich wie mit Streamingdiensten wie Spotify, Apple Music oder Deezer. Insbesondere der Deal mit dem US-Unternehmen Google – zu dem Youtube gehört – war hart umkämpft. Erst nach sieben Jahren Verhandlungen und mehreren Gerichtsverhandlungen einigte man sich im November 2016 ein neues Vergütungsmodell für die Bezahlung der Urheber.
Damit werden auch keine Videos mehr gesperrt, nur weil darin ein lizenzpflichtiger Song abgespielt wird. «Wenn die Werke über YouTube, Facebook, Instagram, etc. öffentlich zugänglich gemacht werden, dann rechnen wir die Vergütung direkt mit den Betreibern der Plattformen ab», sagte eine Gema-Sprecherin der Deutschen Presse-Agentur. Das gelte auch für den Song aus Südafrika. «Für die Nutzer, ob Polizei, Krankenhauspersonal, Schülergruppen, etc. fallen somit also keine Lizenzvergütungen an die Gema an.»
Aber wie kommt Warner Music nun dazu, neben der Gema die Hand aufzuhalten? Hier kommt das Konstrukt des «Synchronisationsrechts» ins Spiel. Dieser Begriff ist allerdings selbst unter Juristen umstritten und wird auch nicht eindeutig ausgelegt.
«Das so genannte Synchronisationsrecht bezeichnet das Recht, ein Musikwerk als Filmmusik mit einem Filmwerk zu verbinden. Es wird auch Filmherstellungsrecht genannt», erläutert Rechtsanwalt Christian Solmecke, der auf Internet-Recht spezialisiert ist. «Wer ein Video von seiner Teilnahme an der Tanz-Challenge hochlädt, greift in das Synchronisationsrecht von Warner Music, dem Rechteinhaber des Songs «Jerusalema», ein». Die Tonaufnahme von dem Song werde unberechtigterweise mit einer eigenen Bildaufnahme von dem Tanz verknüpft. «Dafür benötigt man eine Synchronisationslizenz.» Auf diese Lizenz hatte auch eine Sprecherin von Warner Music verwiesen.
In den Rechtsabteilungen der Internet-Konzerne steht man allerdings auf dem Standpunkt, dass dieses Recht bereits mit dem Gema-Vertrag abgegolten sei – wenn es überhaupt bestehe.
Für Florian Drücke, dem Vorstandsvorsitzenden des Bundesverbandes Musikindustrie (BVMI), macht es einen Unterschied, ob die Videos aus einem rein privaten Interesse hochgeladen werden oder ob damit im weitesten Sinn eine gewerbliche Absicht verbunden ist. «Nutzerinnen und Nutzer müssen in der Regel keine Erlaubnis für die Verwendung von Musik auf Plattformen wie z.B. Youtube erwerben, wenn sie Videos dort veröffentlichen, weil die meisten Musikunternehmen den Plattformen schon lange Lizenzen dafür einräumen», sagte Drücke der dpa. Im Falle kommerzieller Nutzungen, etwa durch Unternehmen oder Organisationen, die werbliche oder imagefördernde Videos veröffentlichen, sei es aber üblich, eine entsprechende Lizenz einzuholen. «Das ist lang etablierte Praxis.»
Folgt man dieser rechtlichen Auffassung, haben private Nutzerinnen und Nutzer wenig zu befürchten, wenn sie ihre Tanzeinlagen auf TikTok, als Instagram Story oder auf Youtube veröffentlichen. Kommerzielle Influencer, die mit ihren Auftritten Geld verdienen, aber auch Vereine, Organisationen und Firmen, müssten sich demnach bei den Rechteinhabern um die obskure Synchronisationslizenz bemühen. Vor Gericht ausgefochten wurde das aber bislang nicht.
Wem das zu kompliziert sei, müsse auf gemeinfreie Musiktitel ausweichen, die nicht kommerziell lizenziert werden müssen, meint Rechtsanwalt Solmecke. «Im Falle der Jerusalema-Challenge ist das ein geringer Trost.»
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