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Qualität und Kilometer: Was bringt der Klinik-Atlas?

Wie finde ich das geeignete Krankenhaus für mich? Ein Online-Portal soll Patientinnen und Patienten künftig Orientierung geben. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Marijan Murat/dpa)
Wenn es um eine geplante Operation geht, überlegen viele genau, ob die Klinik in nächster Nähe die beste ist. Bei der Entscheidung soll bald ein Online-Portal helfen - unumstritten ist es nicht.

Patientinnen und Patienten sollen Leistungen und Behandlungsqualität der Krankenhäuser in Deutschland bald mit einem staatlichen Online-Atlas vergleichen können. Das sehen Pläne von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vor, die das Bundeskabinett auf den Weg brachte.

Das «Transparenzverzeichnis» soll im April 2024 starten und als interaktives Portal verständlich über das jeweilige Angebot an bundesweit rund 1700 Klinikstandorten informieren. Aus den Ländern und der Branche kam Kritik. Das Gesetz soll eine grundlegende Neuaufstellung der Kliniken mit Änderungen bei der Finanzierung ergänzen, an der Bund und Länder gemeinsam arbeiten.

Lauterbach: Versorgungsqualität ausbaufähig

Lauterbach sagte in Berlin: «Mehr Transparenz ist überfällig und hilft Krankenhäusern wie Patienten gleichermaßen.» Ärzte würden immer wieder gefragt: «Welches Krankenhaus ist wie gut für was?» Überall in Deutschland leisteten Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte fantastische Arbeit. Trotzdem könne nicht jeder alles. «Wir haben noch immer die Situation, dass es Oberärzte gibt, die am Montag eine Knie-Operation durchführen und am nächsten Tag eine Darm-Operation.» Das sei natürlich nicht eine Versorgungsqualität, die man sich wünsche.

Dabei muss es in akuten Notfällen meist möglichst schnell ins nächste geeignete Krankenhaus gehen. Eine bessere Orientierung bieten soll der Klinik-Atlas zum Durchklicken aber bei planbaren Behandlungen, für die man auch einige Kilometer mehr zu einer Klinik fahren kann.

Das Verzeichnis: Konkret soll das Portal anzeigen, ob ein Krankenhaus eine Leistung anbietet – und zwar auch mit einer Fachabteilung. Im Entwurf vorgesehen sind 65 solcher Leistungsgruppen, die medizinische Angebote näher bezeichnen – etwa Infektiologie, Augenheilkunde, Urologie oder Intensivmedizin. So könne man etwa sehen, ob eine Krebs-OP in der allgemeinen Chirurgie oder einer spezialisierteren Krebschirurgie gemacht würde, sagte Lauterbach. Verständlich abrufbar sein sollen auch Daten zur Behandlungserfahrung (Fallzahlen), zum Personalschlüssel bei Fachärztinnen, Fachärzten und Pflegekräften sowie zu Komplikationsraten bei ausgewählten Eingriffen.

Die Daten: Die Kliniken sollen weitere Daten etwa zu Personalzahlen melden. Über zwei Institute sollen diese mit anderen Qualitätsdaten zusammengeführt, aufbereitet und auch aktualisiert werden. Lauterbach betonte, dass es um tiefergehende Infos als bei bestehenden Angeboten gehe. Auch die Verbraucherzentralen dringen auf mehr Transparenz. Der Gesundheitsexperte des Bundesverbands, Thomas Moormann, sagte, es gebe «einen Flickenteppich» unterschiedlichster Suchportale. Man könne aber nicht sehen, wie erfolgreich Behandlungen einer Klinik bei konkreten Problemen sind. Damit ein gut gemachtes Verzeichnis einen Mehrwert habe, müsse aber auch die tatsächliche Ergebnisqualität der Behandlung bei Patienten erfragt und darin abgebildet werden.

Expertise und Entfernung: Lauterbach machte klar, dass ein genauerer Blick auf die Behandlungsqualität im dichten Kliniknetz nicht gleich zu viel längeren Wegen führen muss. Er verwies auf die Analyse einer Regierungskommission, wonach jährlich knapp 5000 Menschen mehr im ersten Jahr nach einem Schlaganfall überleben könnten – wenn alle Patienten nur in Kliniken mit Spezialabteilungen (Stroke Unit) kämen. Die durchschnittliche Anfahrtszeit würde sich bei einer Konzentration auf die Spezialstandorte um zwei Minuten auf 23,4 Minuten verlängern.

Warnungen: Von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) kam Protest gegen eine Einordnung der Kliniken nach Stufen («Level») – von der wohnortnahen Grundversorgung bis zu Maximalversorgern wie Uni-Kliniken. Basis sollen die 65 Leistungsgruppen sein. Habe eine Klinik wenige davon, aber viel Erfahrung in bestimmten Behandlungen, werde sie einem niedrigen «Level» zugeordnet, monierte die DKG – und die Botschaft für Patienten wäre, besser in eine Klinik mit höherem «Level» zu gehen, obwohl die Qualität hervorragend wäre. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz nannte es richtig, auch die Häufigkeit von Komplikationen anzuzeigen. Es gelte aber zu verhindern, dass jüngere, erfolgversprechende Patienten bevorzugt behandelt werden. Das wäre Diskriminierung Älterer, chronisch Kranker und Pflegebedürftiger.

Die Rolle der Länder: Um das Vorhaben hatte es im Ringen um die geplante generelle Neuaufstellung der Kliniken schon Wirbel gegeben. Die Länder bremsten eine stärker steuernde Funktion der «Level» in dieser Reform aus und pochen auf ihre Planungshoheit. Der Bund macht das Transparenzgesetz daher in Eigenregie – und im Bundesrat ist es nicht zustimmungspflichtig, wie Lauterbach gleich dazusagte. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) warnte vor Verunsicherung und einer Gefährdung für die Akzeptanz insbesondere kleinerer Häuser. Außerdem drohe auch eine Überlastung größerer Spezialkliniken durch leichte Fälle. Der Vorsitzende der Länder-Ressortchefs, Manne Lucha (Grüne) aus Baden-Württemberg, warnte vor weiterem Bürokratieaufwand.

Die Zukunft der Kliniken: Lauterbach ließ erkennen, dass er dennoch auf die weitere gemeinsame Arbeit mit den Ländern an der eigentlichen Krankenhausreform baut. Dazu soll ein Gesetzentwurf kommen. Der Kern ist, die Vergütung mit Pauschalen für Behandlungsfälle zu ändern, um Kliniken von Finanzdruck zu immer mehr Fällen zu lösen. Stattdessen sollen sie einen großen Anteil der Vergütung allein schon für das Vorhalten von Angeboten bekommen. Das sichere auch kleine Häuser, betonte Lauterbach. Und nicht vertretbar wäre es zu sagen: Damit eine Klinik auf jeden Fall überlebe, müsse es intransparent bleiben, um weiterhin auch schlechte Qualität abrechnen zu können.

Von Sascha Meyer, dpa